
Energy Sharing: Gemeinschaftlich Strom erzeugen und nutzen
Der Strombedarf unserer Gesellschaft steigt immer weiter an. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht abzusehen. Im Gegenteil: In naher Zukunft wird sich diese Dynamik eher noch beschleunigen. Gleichzeitig drängt die Regierung vehement auf die Energiewende. Zusammen entsteht so ein Prozess, der unser Stromnetz immer wieder an seine Grenzen und darüber hinausbringt.
Eine Möglichkeit zur Entlastung wäre eine regional-gemeinschaftlich organisierte Dezentralisierung der Energieerzeugung, -distribution und -nutzung. Genau das verspricht das Modell des sogenannten „Energy Sharing“. Was das eigentlich ist, wie es funktioniert, welche Vorteile es mit sich bringt, wie der Ansatz in Nachbarstaaten angenommen wird – und warum sich in Deutschland diesbezüglich bisher nichts tut, erfahren Sie in diesem Artikel.
> Was ist Energy Sharing?
> Die Bürgerenergiegesellschaft: Herzstück des Energy Sharings
> Was ist der Unterschied zwischen Energy Sharing und gemeinsamer Energieversorgung?
> Die Vorteile von Energy Sharing
> Energy Sharing: So machen’s die Nachbarn
Was ist Energy Sharing?
Beim Konzept des Energy Sharings geht es darum, Energie miteinander zu teilen. Zentral ist außerdem, wo die Energie herkommt. Die wird nämlich tatsächlich selbst produziert und gleich auch selbst genutzt. Bürger haben die Möglichkeit, Solar- oder Windkraftanlagen in ihrer Umgebung mitzufinanzieren und nach Inbetriebnahme die Energie selbst zu beziehen – zu sehr vorteilhaften Konditionen, versteht sich.
Bei Energy Sharing handelt es sich also um ein lokales Energiekonzept, das auf der Teilhabe mehrerer Abnehmer und Produzenten beruht. Die Mitglieder dürfen unter bestimmten Voraussetzungen dabei die regionale, bereits bestehende öffentlichen Infrastruktur nutzen. Im Grund geht es um den direkten Handel mit Strom zwischen zwei Parteien.
Ein kleines Beispiel:
- Ein Bauer bestückt alle seine Dachflächen mit Photovoltaikmodulen und stellt zusätzlich noch einige Paneele auf einer seinen Freiflächen auf. Dadurch produziert er viel mehr Sonnenstrom, als er eigentlich nutzen kann.
- Ein Hotelbetreiber in der Nähe verfügt zwar auch über eine PV-Anlage, allerdings ist er bezüglich der Dachflächen stark eingeschränkt. Sein eigener Bedarf lässt sich mit der so produzierten Menge an grüner Energie nicht decken.
- Die Lösung: Er kauft Sonnenstrom von dem überproduzierenden Bauern ein und nutzt dafür das öffentliche Netz.
- Der günstig produzierte – und überschüssige(!) – Strom des Bauern müsste nicht ungenutzt verpuffen bzw. zu ungünstigen Konditionen ins Netz eingespeist werden, sondern könnte direkt in der Region genutzt werden, was wiederum das Stromnetz entlasten würde.
Das einzige Problem an der Sache: Energy Sharing ist in Deutschland aktuell noch nicht erlaubt. Die Politik hat es versäumt, entsprechende Strukturen dafür zu schaffen – sowohl in rechtlicher als auch in technischer Hinsicht.
Dabei gibt es in Deutschland eigentlich eine lebendige Tradition, was Bürgerenergie angeht. Ein Blick auf die Geschichte der entsprechenden Gesellschaften zeigt dies sehr deutlich.
Die Bürgerenergiegesellschaft: Herzstück des Energy Sharings
Bei einer Bürgerenergiegesellschaft handelt es sich im Grunde um ein energiewirtschaftliches Unternehmen, das besonders durch eine hohe Bürgerbeteiligung charakterisiert wird. Die Bürger sind dabei zum Beispiel (Mit-)Eigentümer von Anlagen zur Gewinnung erneuerbarer Energien (Photovoltaik, Windkraft etc.).
Eine allgemeingültige Definition von „Energy Sharing“ gibt es dabei nicht. Deshalb fallen viele Projekte unter diesen Oberbegriff. Ein Aspekt muss aber – ohne Diskussion – immer vorhanden sein. Und zwar jener der Bürgerpartizipation, also der Teilhabe jener Menschen an der Infrastruktur, welche die erzeugte grüne Energie schlussendlich auch nutzen.
Bürgerenergiegesellschaft: Nicht so neu, wie man meinen möchte Das Konzept der Bürgerenergiegesellschaften ist tatsächlich kein neues, sondern in Deutschland bereits durchaus weit verbreitet. Mitte 2023 lag ihre Anzahl etwas über 1.000. Bis heute haben sie über Solar- und Windkraftanlage Millionen von Kilowattstunden an grünem Strom produziert. |
Was ist der Unterschied zwischen Energy Sharing und gemeinsamer Energieversorgung?
Das Grundkonzept des Energy Sharings – also gemeinsame Beschaffung einer Anlage und ebenso gemeinsame Nutzung der von ihr erzeugten Energie – ist nicht neu. Mieterstromprojekte oder manche Arten von Quartierversorgung gibt es nicht erst seit gestern. Wo liegt dann aber genau der Unterschied zum Energy Sharing?
Die bisherigen Projekte waren/sind so aufgebaut, dass die erzeugte Energie auch gleich vor Ort genutzt wird. Eine Einspeisung ins öffentliche Netz ist nicht vorgesehen.Beim Energy Sharing ist das anders. Hier findet sehr wohl eine Einspeisung statt, was den Distributionsrahmen bzw. die belieferbare Region stark vergrößert – und gleichzeitig noch weitere Vorteile mitbringt, die der nächste Abschnitt etwas genauer unter die Lupe nimmt.
Die Vorteile von Energy Sharing
Dass Energy Sharing funktioniert und viele Vorteile mit sich bringt, zeigen andere europäische Länder wie zum Beispiel Italien. Dort ist das System bereits seit 2020 zugelassen. Die damalige Regierung führte zunächst eine zweijährige Testphase und einige Einschränkungen ein. So mussten etwa Erzeuger und Verbraucher am gleichen Mittelspannungs-Umspannwerk angeschlossen sein. Ein limitierender Faktor, was die räumliche Ausdehnung der Energiegemeinschaften angeht. Ende 2021 überarbeiteten die zuständigen Behörden die Vorgaben und passen sie an die europäische Erneuerbaren-Richtlinie REDII an.
Seit Frühjahr 2023 gelten nun neue Regeln, ein Zusammenschluss zu deutlich größeren Energiegemeinschaften ist nun möglich.
- Entlastung des Stromnetzes: Wer lokal produzierte Energie auch lokal verbraucht, entlastet die öffentlichen Distributionswege. Schon jetzt kommt in Deutschland nicht der gesamte erzeugte Grünstrom bei den Verbrauchern an. Tatsächlich gibt es Jahr für Jahr immer wieder Produktionsspitzen, mit denen das Stromnetz überfordert Bestimmte Anlagen müssen ihre Einspeisung in diesem Fall reduzieren. Allein im ersten Halbjahr 2022 konnten bis zu 5 % des nachhaltig erzeugten Stroms unterm Strich nicht genutzt werden. Eine Menge, mit der sich alle Haushalte in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern versorgen ließen.
- Finanzielle Einsparungen: Während in bestimmten Regionen Deutschlands ein Überschuss zum Beispiel aus Windenergie besteht, gibt es in anderen Teilen des Landes Engpässe. Die Übertragungsnetzbetreiber müssen hier ausgleichend eingreifen und sogenannte Redispatch-Maßnahmen Dabei handelt es sich um Eingriffe in die Erzeugungsleistung von Kraftwerken. Manche werden gedrosselt, um bestimmte Leitungsabschnitte vor einer Überlastung zu schützen. Andere werden hochgefahren, um den akuten Mangel zu beheben. Das kostet natürlich Geld. Die dadurch entstehenden Kosten kommen über die über die Stromrechnung (auch) bei den Verbrauchern an. Von 2021 bis 2022 haben sich diese Ausgaben verdreifacht – von 0,5 auf 1,5 Milliarden Euro.
Energy Sharing: Das bleibt dem einzelnen Haushalt im Portemonnaie Obwohl es in Deutschland noch keinen rechtlichen Rahmen für Energy Sharing gibt, existieren bereits Berechnungen, wie viel sich ein durchschnittlicher Haushalt im Jahr an Stromkosten sparen würde. Bei einem Verbrauch von ca. 3.000 kWh lägen die Ersparnisse etwa im Bereich von 120 Euro. |
- Bessere Umweltverträglichkeit: Der offensichtlichste Vorteil ist der Ausbau der erneuerbaren Energien. Je weniger Strom aus Kohle- oder Erdgaskraftwerken bezogen werden muss, desto besser. Energy Sharing macht die lokale Produktion, Distribution und Nutzung von nachhaltiger Energie für noch mehr Verbraucher interessant, als das ohnehin bereits der Fall ist. (Stichwort: Bürgerenergiegesellschaft)
- Beschleunigung der Energiewende: Durch das eben erwähnte Ansprechen neuer Zielgruppen würde sich die Geschwindigkeit der Energiewende erhöhen lassen. Der wirtschaftliche Anreiz für Investitionen in Erneuerbare-Energie-Anlagen steigt, die Dynamik wird beschleunigt, die Ziele werden rascher erreicht.
- Gesteigerte Unabhängigkeit: Wer seine Energie selbst erzeugt, muss weniger zukaufen bzw. weniger importieren. Lokale bzw. regionale Anlagen steigern den Grad der Autonomie, der Bedarf für Energieimporte sinkt.
Energy Sharing: So machen’s die Nachbarn
In Österreich ist man in Sachen Energy Sharing schon deutlich weiter als hierzulande. Mieterstrommodelle existieren seit 2017, Energiegemeinschaften dank des Erneuerbaren-Ausbau-Gesetzes seit 2021. Zwei Modelle stehen zur Auswahl:
- Die Erneuerbaren-Energie-Gemeinschaften (EEG) dürfen ganz offiziell Strom, Wärme oder Gas in Eigenregie aus erneuerbaren Quellen nicht nur erzeugen und nutzen, sondern auch speichern und verkaufen – und dafür das öffentliche Stromnetz Lokale Zusammenschlüsse müssen dabei über einen Anschluss am selben Trafo verfügen, auf regionaler Ebene muss es ein gemeinsames Umspannwerk geben.
- Die Bürgerenergiegemeinschaft ist auf die Produktion von elektrischem Strom beschränkt, kann dafür aber auch auf nicht erneuerbare Energiequellen zurückgreifen. Sie kann lokal tätig werden oder sich über mehrere Netzgebiete im gesamten Bundesgebiet erstrecken.
Neulinge in diesem Bereich haben die Möglichkeit, sich bei einer zentralen Koordinationsstelle beraten zu lassen, der Austausch zwischen den einzelnen Bundesländern funktioniert überraschend gut.
Mitglieder einer Energiegemeinschaft profitieren dabei von verringerten Netzentgelten. Wie hoch diese genau ausfallen, hängt von mehreren Faktoren ab. Vereinfacht gesagt spielen die Regionalität bzw. der Anschluss an die Netzebene die Hauptrolle. 57 % Ermäßigung sind im Niederspannungsnetz festgelegt, zwischen 28 % und 64 % sind es im Mittelspannungsnetz. Dazu kommt die Zahlung einer Prämie für Energy-Sharing-Teilnehmer.
Energy Sharing: Ein Modell der Zukunft
Um den kontinuierlich steigenden Strombedarf unserer Gesellschaft zu decken und dabei gleichzeitig das öffentliche Netz zu entlasten, ist das Energy-Sharing-Modell ein äußerst vielversprechender Ansatz. Bürger schließen sich lokal zusammen, um gemeinsam ein „Kraftwerk“ zu bauen, um dann später die erzeugte Energie zu vergünstigten Tarifen zu beziehen. So nimmt die Energiewende Fahrt auf, der Umfang der Investitionen aus dem Privatbereich steigt und die jeweiligen Zusammenschlüsse machen sich selbst unabhängiger von den großen Anbietern. Dass das Modell in der Praxis funktionieren kann, zeigt eine lange Liste an europäischen Ländern, in denen schon vor Jahren die rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen wurden. Nun liegt es an der deutschen Bundesregierung, hier nachzuziehen.